MONSTER
Wer nach über 10 Jahren seit dem letzten Album ein nettes, gefälliges Zam Helga Album erwartet, wird eines Besseren belehrt. Noch nie war Zam Helga Musik stereotyp, leicht einzuordnen - noch nie waren die Texte gefällig - gingen ein wenig weiter, als es manchen Hören recht war, wenn sie sich einfach nur an der Oberfläche der Unterhaltung treiben lassen wollten.
Meine Worte müssen etwas transportieren, schon damals im Englischen war das so - aber ich hätte mich nie entschlossen, meine Lieder in meiner Nativen Sprache zu schreiben, wenn ich die Worte nur als schönes Beiwerk zur Unterhaltung hätte benutzen wollen.
Im Gegenteil - in zehn Jahren akribischer Arbeit, mit einer genauen Vorstellung davon, wie MONSTER sich von den Vorgängern unterscheiden sollte, entstand eine Sammlung Botschaften aus den Grenzgebieten der menschlichen Seele und dem sie umgebenden Kosmos.
"Ich befand mich in der äußerst empfindlichen und zerbrechlichen Mitte meines Lebens - die Welt um mich herum trug viel Trauer, Schmerz, Krankheit und Abschiede an mich heran, die mich zu zermalmen drohten. Und die wichtigste Entscheidung war, mich all dem zu stellen, es offen durch mich fließen zu lassen, direkt auf das Papier, in die Saiten, auf Band, um Anderen ein Zeugnis davon geben zu können, dass sie in schweren Tagen nicht alleine sind und dass es immer einen Weg hindurch gibt."
Zurückgewiesene Liebe tut weh, Dunkelheit in unserer Seele erdrückt uns, der Tod und die Trauer sind für uns Hinterbliebene eine Marter.
"Es sollte keine eitle Selbstdarstellung werden, keine vagen, konformistischen Andeutungen und keine Plattitüden. Wenn der Schmerz kam, wurde er direkt auf Band gebannt. Aber gerade dieses Channeling, dieser Seelenstrip barg auch ungeahnte Schwierigkeiten in sich und forderte oft lange Pausen in der Arbeit oder Umdenken in der klanglichen Ausgestaltung, nachdem die Grundtakes aufgenommen waren."
Schon "Erretter" aus VENUS trug diese Handschrift die nun Lieder wie "An deiner dunklen Wand", "Nimm es nicht fort" und nicht zuletzt "Monster" weiterführen. Darüber finden sich auf MONSTER aber auch die Zam Helga typischen Lieder, die auf guter alter Singer-Songwriter Tradition aufbauen. Soziale und wirtschaftliche Missstände werden von "Die Hand" und "Krieg und Frieden" ebenso bloßgestellt, wie globale Intoleranz ("Natalie") und die mitleidlose Unterdrückung der Welt in "Stumme Kreatur".
MONSTER war von Anfang an als ein einziger großer Alleingang geplant. Keine Hilfe seitens Mitmusikern, Tontechnikern, Produzenten. Am Anfang der Aufnahmen stand immer eine Liveperformance von Stimme & Gitarre, die sich möglichst nicht der Technik unterwerfen sollte. Nach vielen Experimenten gelang es, das lebendige Tempo der Darbietungen direkt im Aufnahmeprogramm zu übernehmen, um es später für die Overdubs mit den folgenden Instrumenten und als Zeitreferenz für Audioeffekte nutzen zu können. Erst in den letzten beiden Jahren, als der Weg bereits größtenteils gegangen war, lud Zam Helga für zwei Titel zwei befreundete Schlagzeuger ein und bat Tochter Ella Estrella Tischa auf "Krieg und Frieden" wie in den Liveauftritten zu singen. Darüber hinaus stammt jede Stimme und jeder Ton der unzähligen Instrumente und Geräusche aus einer Hand. Harmonium, Celli, Violinen, Saz, Indisches Banjo, Waldzither, Tamboura, Rahmentrommel, Darbuka, Riq, selbstentworfene Klangbretter, diverse Schlaginstrumente, die Liste ist lang. Und nicht zuletzt Zam Helgas Stimme und die mit ethnischen Anleihen aus aller Welt besetzten Chorgesänge, führt den Hörer hinfort aus dem Alltag in ungeahnte Welten.
Nicht jeder wird dieses Album hören wollen - schon gar nicht zu jeder Zeit, aber es gibt Momente, da wird er keine Alternativen finden. Es ist kein Werk, das traurig macht oder zur Schwermut verleitet - es strahlt mit großer Klarheit Trost, Erhebung und das Wissen um mehr aus.
